Ländliches Indien

Ein Einblick in das rajasthanische Dorfleben

Indien ist laut, verschmutzt, überfüllt mit viel Verkehr, unerträglicher Armut und zu vielen Männern.

Reist man von indischer Großstadt zu indischer Großstadt kann Indien schnell anstrengen und nicht wirklich Lust auf mehr machen. Doch die Reize Indiens liegen vielweniger in den überfüllten indischen Großstädten, als in seinen ländlichen Regionen. Indien ist eigentlich ein einziges großes Dorf mit vielen Feldern, kleinen Siedlungen und wunderschöner Landschaft.

 

 

Verlässt man die indischen Großstädte Delhi, Mumbai und Co, wird es auf einmal ganz friedlich. Man sieht Frauen in bunten Gewändern auf den Feldern arbeiten, Männern mit weißen Turbanen mit ihren Ziegenherden und Kinder mit geflochten Zöpfen und in ordentlichen Uniformen am Straßenrand zur Schule laufen.

 

Auf dem Land scheint die Welt noch in Ordnung. Klar, das Leben hier ist geprägt von harter körperlicher Arbeit. Der ganze Alltag dreht sich um die Befriedung der Grundbedürfnisse. Die trockenen Böden müssen bewirtschaftet, die Kühe gemolken und gefüttert, Feuer Holz und Kuhdung gesammelt, Kleidung genäht und Essen gekocht werden.

Doch es ist kein stressiges Leben. Ruhig werden die täglichen Aufgaben gemeinsam im Familienverbund erledigt. Dabei sind die Aufgaben gerecht verteilt und es bleibt auch Zeit für einen Tee mit einem Schwatz zwischendurch.

Während die Kinder tagsüber in die Schule gehen, sind die Männer meistens auf den Feldern und die Frauen kümmern sich um die anstehende Arbeit zuhause.

Der Tag beginnt früh am Morgen um 5 Uhr. Denn zu diesen frühen Morgenstunden sind die Temperaturen noch angenehm und die Kuh will gemolken werden. Nach einem Bad, wird im hauseigenem Tempel eine kleine Puja (heilige Zeremonie) durchgeführt und ein reichhaltiges Frühstück bestehend aus Hirsefladen und Gemüse oder Linsen eingenommen. Denn die Arbeit auf dem Feld ist hart. Oft sind die Felder einen guten Fußmarsch entfernt und nicht selten bleiben einige Familienangehörige für ein paar Tage am Stück auf ihren Feldern. Auch hier haben sie eine kleine Hütte um zu schlafen und zu kochen.

Meistens bleiben die Frauen mit ihren Kindern daheim. Aber auch hier gibt es genügend zu tun. Die Wäsche muss mit der Hand gewaschen, das Haus sauber gehalten und der Hausgarten gepflegt werden. Bei ihrer Arbeit ist die indische Frau nicht alleine. Die Kinder helfen im Haus und im Garten wo sie eben können. Für sie ist die Mithilfe im Haushalt selbstverständlich. Während die Jungs Wasser holen oder Gemüse Ernten, helfen die Mädchen beim Kochen und Wäsche waschen. Auch die Großmutter möchte nicht tatenlos herumsitzen und macht die Arbeiten, die eben noch gehen. Ein Jeder arbeitet Hand in Hand, keiner streitet oder fühlt sich ausgenutzt.

 

Auch die heilige Kuh gehört zur Familie und ist etwas arbeitsintensiv. Zweimal täglich wird sie zu regelmäßigen Zeiten gemolken, ihr Stall muss gesäubert und Futter beschafft werden. Gleichzeitig schafft sie aber auch einen enormen nutzen für die indische Großfamilie. Kuhfladen dienen als Brennmaterial und werden im Garten oder auf dem Dach gelagert, im Gespann Pflügen die Kühe die Felder und der Dung dient als Düngemittel. Die Milch wird nicht nur für den so beliebten Chai genutzt, sondern es wird Jogurt, Buttermilch, Butter und Ghee (geklärte Butter) hergestellt, alles wichtige Bestandteile in der rajasthanischen Küche, da es in Rajasthan aufgrund der Wasserknappheit eher weniger Gemüse gibt.

Stattdessen werden die Gerichte aus Linsen, wilden getrockneten Beeren und Pflanzen, Getreide und eben Milchprodukten gekocht.

Viele der wilden Nahrungsmittel wachsen an dornigen Sträuchern und müssen mühselig einzeln gepflückt werden. Dann werden sie getrocknet und können jederzeit während des Jahres als Gericht zubereitet werden.

Interessanterweise werden in Rajasthan viele Gurkensorten, Kürbisse und Melonen angebaut, die ja eher viel Wasser benötigen. Zur Erntezeit bestehen dann die Gerichte täglich aus demselben Gemüse- schließlich kommen sie ja von den eigenen Feldern. Der restliche Teil der Ernte wird auf dem Markt verkauft.

Nur zu gerne haben die rajasthanischen Familien Gäste bei sich und man wird immer herzlich auf einen Tee und etwas zu essen nachhause eingeladen und kann das normale indische Leben ganz authentisch erleben. In Rajasthan lebt man noch sehr traditionell in der Großfamilie zusammen. Die angeheiratete Frau zieht zur Familie des Mannes und so leben nicht nur mehrere Generationen im Haus, sondern auch alle Brüder mit ihren Kindern und deren Kindern.

Sitzt man einmal im Innenhof des Hauses, hat man gleich eine ganz neugierige Menschenschaar um sich, die einem Fotoalben zeigen, mit selbstgemachten Naschereien verwöhnen und für Gruppenfotos posieren. Plötzlich scheint das Haus voll und jeder hat Zeit, lacht und ist in ausgelassener Stimmung.

Überhaupt lieben die Inder Feste und finden oft einen Anlass zum Feiern. Sei es eine Hochzeit im Nachbarhaus, ein indischer Feiertag oder eine große Mela (Jahrmarkt). Dann werden die schönsten Gewänder aus den Schranken geholt oder teilweise neu genäht. Hier kann schon das kleinste Mädchen geschickt mit einer Nähmaschine umgehen! Während die Frauen traditionelle farbenfrohe lange Röcke mit Blusen und einen Schleier tragen, bevorzugen die Männer weiß mit einem orangenen oder roten Turban.

Auf den Festen wird getanzt, gesungen und gegessen. Hier geht es jedoch noch sehr traditionell zu, mit den Männern auf der einen und den Frauen auf der anderen Seite. Zu den Mahlzeiten sitzen mehrere Personen um einen Teller herum, der Kellner serviert die verschiedensten Speisen und einer der „Esser“ vermischt alles schön zu einem Brei und dann essen alle zusammen mit ihrer Hand vom einem Teller- eine Geste der Freundschaft und Zugehörigkeit.

Wann immer ich in das Dorf Panchla im östlichen Rajasthan komme, werde ich herzlichst empfangen. Immer freut man sich über meinen Besuch, zeigt mir begeistert ihre kleinen Häuschen und hat Spaß daran, wenn ich ihre Kuh melke, beim Chapati machen (Brot backen) mithelfe oder Kuhfladen plattdrücke.

Sie füttern mich mit ihren selbst angebauten und wertvollen Früchten und mittlerweile bringe ich sogar Stoffe vorbei, die sie mir zu schönen Gewändern nähen.

Verständigen tuen wir uns aus einem Mix aus Englisch und Hindi, aber eigentlich braucht man gar keine Sprache, denn man versteht sich auch so und genießt einfach die Gesellschaft. Doch eine Frage wird mir immer wieder gestellt: „Was, ich bin schon 27 Jahre und noch immer nicht verheiratet? Wieso denn nur?“ Aber sie scheinen die Antwort, dass ich jetzt gern noch ungebunden bin um mein Leben frei gestalten zu können, zu akzeptieren und finden es dann doch gar nicht weiter schlimm, können sich ein unverheiratetes leben für sich selbst dann aber doch nicht vorstellen.

Für mich sind ihre Häuschen immer noch so interessant wie am Anfang und oft laufe ich neugierig von einem Raum zum anderen. Die Küche ist oft separat. Es gibt eine Feuerstelle, auf der das Essen zubereitet wird und der Boden hat einen angenehmen Untergrund, denn er wird zweimal im Jahr frisch aus Kuhdung und Sand erneuert.

Die anderen Räume sind um den offenen Innenhof gepflastert. Die Zimmer sind fast leer und ordentlich aufgeräumt mit nur einigen Fotos und ein paar Schränken. Die Betten stehen tagsüber gegen die Wand um Platz zu schaffen, erst am Abend werden sie aufgestellt und jeder schläft irgendwo. Es gibt keine fest zugeteilten Räume, höchstens für das frischverheiratete Brautpaar.

Ach, ich fühle mich wohl und freue mich schon jetzt auf meinen nächsten Besuch hier im rajasthanischen Dorf Panchla.

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